Aus Glauben leben und schreiben
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Kurzbiographie von Arnd Hollweg
* am 23.03.1927 in Mönchengladbach
1937-43 Besuch des humanistischen Gymnasiums in Mönchengladbach
1943 Luftwaffenhelfer
1945 Infanterist, englische Kriegsgefangenschaft
1946 Abitur
1946-54 Studium der Theologie, Philosophie, Pädagogik, Psychologie und Sozialwissenschaften in Bonn, Göttingen, Tübingen und Los Angeles
1952 Erstes theologisches Examen
1953 Philosophicum
1953/54 Aufenthalt in den USA als Stipendiat des Ökumenischen Rates der Kirchen
1955/56 Religionslehrer in Lobberich/Niederrhein
1957/58 Vikar in Essen-Borbeck; Studium der Sozialwissenschaften und der Psychologie in Münster
1958 Zweites theologisches Examen
1958-63 Landespfarrer und Dozent im Kolleg für Evangelische Unterweisung der Ev. Kirche im Rheinland
26.10.1958 Ordination
30.08.1961 Heirat mit der Theologin Astrid geb. Blomerius; Wohnsitz in Bad Godesberg
1964-1965 Assistent am Ökumenischen Institut der Ev.-theol. Fakultät der Universität Bonn
1966-72 Gemeindepfarrer in Bad Honnef
1967 Promotion zum Dr. theol. in Bonn
1966, 1968, 1971 Geburten der Töchter Heike, Uta und Karen
1973-76 Leiter der Abteilung "Die diakonische Dimension im Leben und Handeln der Kirche" und Schriftleiter von Innere
Mission/Diakonie in der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKiD in Stuttgart
1976-1990 Gemeindepfarrer in der Ev.-reformierten Bethlehemsgemeinde in Berlin; Lehraufträge an der Kirchlichen Hochschule
und der Freien Universität Berlin
1990-2015 Freier Schriftsteller und Wissenschaftler; Wohnsitz in Berlin-Friedenau
19.04.2015 gestorben in Berlin
Pfarrer - Wissenschaftler - Schriftsteller: zum Leben und Wirken von Arnd Hollweg
Arnd Hollweg wurde am 23.03.1927 als drittes Kind von Dr. med. Ernst Hollweg und Henriette geb Voswinckel in Mönchengladbach geboren. Er wuchs mit einer älteren Schwester sowie einem älteren und einem jüngeren Bruder auf. Prägend für sein ganzes Leben waren seine Erfahrungen im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg, die seine glückliche, behütete Kindheit jäh beendeten. Seine Eltern gehörten der Bekennenden Kirche an. Sie haben Juden versteckt und zur Flucht nach Holland verholfen. In seinem Elternhaus trafen sich Mitglieder der BK zum Austausch von Informationen und zur Planung von Hilfsaktionen. So hat Arnd Hollweg bereits mit 12 Jahren gewusst, was in den KZ's vor sich ging. Ein Freund der Familie war der Widerstandskämpfer Kurt Gerstein, dessen tragisches Geschick ihn bis in seine letzte Lebensphase hinein beschäftigt und belastet hat.
Mit 16 Jahren wurde Arnd Hollweg von der Schulbank seines humanistischen Gymnasiums weg mit seiner Klasse als Luftwaffenhelfer eingezogen. Mit 17 kam er als Infanterist an die Front, mit 18 in englische Kriegsgefangenschaft, wo er durch die Begegnung mit einem Kameraden zum Glauben (zurück)gefunden hat. Die Erfahrungen aus dem Dritten Reich bewirkten bei ihm eine konsequente Abneigung gegenüber autoritären und totalitären Mächten und Gewalten, seien sie individueller, kollektiver oder institutioneller Art. Die Freiheit in Christus bedeutete für ihn, dass er sich seine geistige Unabhängigkeit bewahren und mit sich selbst identisch bleiben konnte.
Nach der Entlassung aus der englischen Kriegsgefangenschaft machte Arnd Hollweg in einem Schnellkurs sein Abitur und studierte dann Theologie, Philosophie, Germanistik, Psychologie und Pädagogik in Bonn, Göttingen, Tübingen und Los Angeles. Er hatte sehr weit gespannte Interessen und lehnte vor allem den Philologismus in der Theologie sowie auch zunehmend den "Offenbarungspositivismus" von Karl Barth ab. Akademische Lehrer, die ihn besonders beeindruckt haben, waren Hans Emil Weber in Bonn, Nicolai Hartmann und Otto Weber in Göttingen, Eduard Spranger in Tübingen, Paul Irwin und Paul Johnson in Los Angeles und später Wolfgang Metzger und Dietrich Wendland in Münster. Nach der abgebrochenen Schulbildung hat er einen ungeheuren Bildungshunger entwickelt und bis ins hohe Alter theologische, philosophische und wissenschaftliche Werke verschiedenster Art intensiv durchgearbeitet.
1953/54 studierte er als Stipendiat des Ökumenischen Rates der Kirchen in den USA an der School of Theology und der University of Southern California in Los Angeles Pastoralpsychologie und Sozialwissenschaften. Sein Aufenthalt in den USA war die zweite prägende Erfahrung in seinem Leben. Er lernte die amerikanische Demokratie kennen und schätzen, vor allem aber die Trennung von Kirche und Staat. Die Abkoppelung der Institution Kirche vom Staat und die Aufgabe der damit verbundenen Privilegien gehörten zu seinen Lebensthemen.
Da er die Koppelung von Ordination und kirchlichem Beamtentum ablehnte, hat Arnd Hollweg zunächst als Religionslehrer am Progymnasium und an der Berufsschule in Lobberich unterrichtet, sich dann aber doch für die Ordination entschieden, da ihm sonst eine Tätigkeit als Pfarrer nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Vikariat in Essen war er von 1958-63 zuerst als Hilfsprediger, dann als Landespfarrer und Dozent im Kolleg für Evangelische Unterweisung in der rheinischen Landeskirche tätig. Eine der Aufgaben des Kollegs bestand darin, aus der DDR geflohene LehrerInnen zu ReligionslehrerInnen auszubilden. Er hatte dabei auch an den damaligen Auseinandersetzungen um die Kontroverse "Evangelische Unterweisung oder Religionsunterricht" teil.
Während seiner Tätigkeit im Kolleg für Evangelische Unterweisung haben wir am 30. August 1961 geheiratet. Wir hatten uns im Dezember 1957 auf einer Adventsfreizeit der evangelischen Studierendengemeinde Münster in Bethel kennengelernt. Ich studierte zu der Zeit Theologie und Germanistik in Münster, mein späterer Mann neben seinem Vikariat in Essen Soziologie, Sozialethik und Psychologie.
Neben seinen beruflichen Herausforderungen arbeitete Arnd Hollweg über Jahre an einer Dissertation über die Rolle der Gruppendynamik in den USA und die Bedeutung, die sie für Kirche und Gesellschaft in Deutschland haben könnte. In den Jahren 1964/65 konnte er als Forschungsassistent am Ökumenischen Institut der Bonner Universität diese Arbeit zu Ende führen. Er war dabei zunehmend in erkenntnistheoretische Fragen zwischen Theologie und Sozialwissenschaften und in Institutionenprobleme geraten. Das Ergebnis gefiel der Bonner Ev.-theologischen Fakultät ganz und gar nicht. Zum einen hatte er sich zum Historismus in der Theologie und zu ihrer Fixierung auf die griechische Philosophie sehr kritisch geäußert, zum anderen hatte er damals eine These vertreten, die heute die Spatzen von allen kirchlichen Dächern pfeifen: dass das kirchliche Amt von Gott der ganzen Gemeinde gegeben ist. Durch den Einsatz seines Doktorvaters Joachim Konrad und des Korreferenten Jürgen Moltmann konnte er dann doch im Januar 1967 zum Dr.theol. promoviert werden.
Von 1966 bis 1972 war Arnd Hollweg Gemeindepfarrer in Bad Honnef am Rhein. Viele Gemeindemitglieder waren damals in der Bundeshauptstadt Bonn tätig, was eine besondere Herausforderung zwischen Glaube und Politik bedeutete. In dieser Zeit wurden die drei Töchter Heike (1966), Uta (1968) und Karen (1971) geboren. Und noch ein anderes Ereignis fällt in diesen Lebensabschnitt: 1971 konnte als Ergebnis jahrelanger Studien und praktischer Erfahrungen sein Buch "Theologie und Empirie. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in den USA und Deutschland" veröffentlicht werden (1. Auflage 1971, 3. Auflage 1974).
Zum 1. Januar 1973 wechselte Arnd Hollweg in die Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKiD nach Stuttgart als Leiter der Abteilung "Die diakonische Dimension im Leben und Handeln der Kirche" und als Schriftleiter der Zeitschrift Innere Mission/Diakonie. Hauptmotiv für diesen Wechsel war die Hoffnung, dort seine theologischen und sozialen Intentionen zur Wirkung bringen und im institutionellen Bereich etwas verändern zu können. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Er kam sehr schnell in kritische Auseinandersetzungen mit den damaligen hierarchischen und autoritären Strukturen in der Diakonie, so dass er sich zum Juli 1976 eine neue Aufgabe suchen musste.
Die Entscheidung fiel wieder für die Gemeinde. Der Umgang mit Menschen aller Altersstufen, die Vielfalt der Herausforderungen und die zumindest damals noch mögliche Freiheit in der Gestaltung der Arbeit motivierten uns dazu. So kamen wir 1976 nach Berlin in die Ev.-reformierte Bethlehemsgemeinde, eine zur Landeskirche gehörende Personalgemeinde, in der Arnd Hollweg bis zu seiner Pensionierung im Juli 1990 und noch darüber hinaus tätig blieb. Die Gemeinde ermöglichte ihm, neben der Gemeindearbeit, die für ihn im Vordergrund stand, auch wissenschaftlich und literarisch weiter zu arbeiten. So hatte er über Jahre auch Lehraufträge an der Kirchlichen Hochschule und der Freien Universität Berlin, wo er zusammen mit Studierenden seine Erfahrungen aus der Praxis theologisch und sozialwissenschaftlich reflektieren konnte. Die Beziehung von Praxis und Theorie blieb ihm in allen seinen Tätigkeiten sehr wichtig.
Eine prägende neue Erfahrung in diesen Jahren war die Begegnung mit der böhmischen Tradition der Gemeinde - interessant u.a. deshalb, weil die "Böhmischen Brüder" Gegner jeder Form von "Konstantinismus" , der Verquickung von Kirche und Staat, waren. Noch wichtiger war die Begegnung mit der Partnergemeinde in Berlin-Köpenick und die Teilhabe an deren Auseinandersetzung mit dem "real existierenden Sozialismus". Natürlich war schon seit der Stuttgarter Zeit auch die Auseinandersetzung mit den sog. 68ern ein durchlaufendes Thema. Arnd Hollweg fühlte sich einerseits mit ihnen verbunden, vor allem durch den Protest gegen falsche Autoritäten und die Kritik an der mangelnden Aufarbeitung des Dritten Reiches seitens der "Vätergeneration". Andererseits hatte er den Eindruck, dass die Bewegung entgegen der eigentlichen Intention zum Teil in neue autoritäre Strukturen abzudriften drohte.
In seinem sog. Ruhestand ist Arnd Hollweg vielfältigen Herausforderungen nachgegangen; vor allem hat er sich als freier Schriftsteller betätigt. Er hat eine ganze Reihe von Aufsätzen zu aktuellen wissenschaftlichen, sozialen und politischen Themen veröffentlicht und über Jahre an einem größeren Werk gearbeitet, das er noch kurz vor seiner schweren Erkrankung im März 2015 vollenden konnte. Es wurde wenige Monate nach seinem Tod unter dem Titel "Lebensgrund in Gott. Erkennen im Glauben und Erkennen in den Wissenschaften in ihrem Verhältnis zueinander" vom Berliner Verlag Frank & Timme veröffentlicht.
Das Schreiben war seine Leidenschaft von Jugend auf. Er hat bis zuletzt nicht etwa auf dem Computer, sondern auf seiner alten klapprigen Schreibmaschine Marke "Gabriele" unermüdlich getippt, oft bis spät in die Nacht. Gelbe und zuletzt weiße Zettel hatte er immer in seiner Brieftasche, um Gedanken, die ihm kamen, jederzeit notieren zu können, auch unterwegs, auf Spaziergängen etc. Die Zettel waren gewissermaßen sein Markenzeichen.
Er hat aber nicht nur über Probleme nachgedacht und sie zu Papier gebracht. Er war sehr gern mit Menschen zusammen und hat mit allen das lebendige und kritische Gespräch gesucht, manchmal mit Passanten auf der Straße. Ihm war dabei immer wichtig, dass Menschen ihre eigenen Meinungen ausbilden und zu Gehör bringen und auf diese Weise mit sich selbst identisch bleiben können. Eine große Freude war für ihn, dass er noch im hohen Alter Großvater von vier Enkelinnen wurde. Ihnen und ihrer Generation seine Lebenserfahrungen und das Zeugnis seines Glaubens weiterzugeben, war eine ganz wichtige Motivation für seine schriftstellerische Tätigkeit, die er als Ruf Gottes empfunden hat.
Arnd Hollweg war Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie sowie Mitglied der Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen, der Gemeinschaft evangelischer Erzieher im Rheinland und der Bibliotheque World Wide Society mit Sitz in Kalifornien/USA.
Schwerpunkte seines Denkens und Arbeitens
In seiner wissenschaftlichen Arbeit war Arnd Hollweg besonders an interdisziplinären, erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragestellungen interessiert. Waren es zunächst die Sozialwissenschaften, die sein Interesse geweckt hatten, so waren es dann vor allem die Naturwissenschaften, die unser heutiges Weltbild prägen und durch die Technik unser soziales Leben weithin bestimmen. Er hat im Laufe der Zeit ein kritisches Verhältnis zu ihnen entwickelt, da er empfand, dass sie uns vom personalen menschlichen Ich in seiner Lebenswelt abspalten. Denselben Eindruck hatte er von der Theologie. Seine Fragestellung ging zunehmend dahin, wie Glauben und Leben aus dem Glauben in unserer heutigen Wissensgesellschaft möglich sind. Vordringlich war für ihn dabei die Frage nach der pneumatischen Präsenz Gottes in Jesus Christus in unserem Leben, zu dem auch das Denken gehört. Wie wir diese Präsenz heute selbst erfahren und im Dialog mit den Wissenschaften aussagen können, ist das Thema seines letzten Buches. Er hat ganz intensiv mit der Bibel gelebt, jeden Tag die Herrnhuter Losungen und die dazu gehörenden Zusammenhänge gelesen und meditiert. Auf diesem Hintergrund hat er mit ungeheurer Wachheit bis zuletzt die politischen und sozialen Vorgänge wahrgenommen, analysiert und kommentiert.
Veröffentlichungen von Arnd HollwegMit 16 Jahren wurde Arnd Hollweg von der Schulbank seines humanistischen Gymnasiums weg mit seiner Klasse als Luftwaffenhelfer eingezogen. Mit 17 kam er als Infanterist an die Front, mit 18 in englische Kriegsgefangenschaft, wo er durch die Begegnung mit einem Kameraden zum Glauben (zurück)gefunden hat. Die Erfahrungen aus dem Dritten Reich bewirkten bei ihm eine konsequente Abneigung gegenüber autoritären und totalitären Mächten und Gewalten, seien sie individueller, kollektiver oder institutioneller Art. Die Freiheit in Christus bedeutete für ihn, dass er sich seine geistige Unabhängigkeit bewahren und mit sich selbst identisch bleiben konnte.
Nach der Entlassung aus der englischen Kriegsgefangenschaft machte Arnd Hollweg in einem Schnellkurs sein Abitur und studierte dann Theologie, Philosophie, Germanistik, Psychologie und Pädagogik in Bonn, Göttingen, Tübingen und Los Angeles. Er hatte sehr weit gespannte Interessen und lehnte vor allem den Philologismus in der Theologie sowie auch zunehmend den "Offenbarungspositivismus" von Karl Barth ab. Akademische Lehrer, die ihn besonders beeindruckt haben, waren Hans Emil Weber in Bonn, Nicolai Hartmann und Otto Weber in Göttingen, Eduard Spranger in Tübingen, Paul Irwin und Paul Johnson in Los Angeles und später Wolfgang Metzger und Dietrich Wendland in Münster. Nach der abgebrochenen Schulbildung hat er einen ungeheuren Bildungshunger entwickelt und bis ins hohe Alter theologische, philosophische und wissenschaftliche Werke verschiedenster Art intensiv durchgearbeitet.
1953/54 studierte er als Stipendiat des Ökumenischen Rates der Kirchen in den USA an der School of Theology und der University of Southern California in Los Angeles Pastoralpsychologie und Sozialwissenschaften. Sein Aufenthalt in den USA war die zweite prägende Erfahrung in seinem Leben. Er lernte die amerikanische Demokratie kennen und schätzen, vor allem aber die Trennung von Kirche und Staat. Die Abkoppelung der Institution Kirche vom Staat und die Aufgabe der damit verbundenen Privilegien gehörten zu seinen Lebensthemen.
Da er die Koppelung von Ordination und kirchlichem Beamtentum ablehnte, hat Arnd Hollweg zunächst als Religionslehrer am Progymnasium und an der Berufsschule in Lobberich unterrichtet, sich dann aber doch für die Ordination entschieden, da ihm sonst eine Tätigkeit als Pfarrer nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Vikariat in Essen war er von 1958-63 zuerst als Hilfsprediger, dann als Landespfarrer und Dozent im Kolleg für Evangelische Unterweisung in der rheinischen Landeskirche tätig. Eine der Aufgaben des Kollegs bestand darin, aus der DDR geflohene LehrerInnen zu ReligionslehrerInnen auszubilden. Er hatte dabei auch an den damaligen Auseinandersetzungen um die Kontroverse "Evangelische Unterweisung oder Religionsunterricht" teil.
Während seiner Tätigkeit im Kolleg für Evangelische Unterweisung haben wir am 30. August 1961 geheiratet. Wir hatten uns im Dezember 1957 auf einer Adventsfreizeit der evangelischen Studierendengemeinde Münster in Bethel kennengelernt. Ich studierte zu der Zeit Theologie und Germanistik in Münster, mein späterer Mann neben seinem Vikariat in Essen Soziologie, Sozialethik und Psychologie.
Neben seinen beruflichen Herausforderungen arbeitete Arnd Hollweg über Jahre an einer Dissertation über die Rolle der Gruppendynamik in den USA und die Bedeutung, die sie für Kirche und Gesellschaft in Deutschland haben könnte. In den Jahren 1964/65 konnte er als Forschungsassistent am Ökumenischen Institut der Bonner Universität diese Arbeit zu Ende führen. Er war dabei zunehmend in erkenntnistheoretische Fragen zwischen Theologie und Sozialwissenschaften und in Institutionenprobleme geraten. Das Ergebnis gefiel der Bonner Ev.-theologischen Fakultät ganz und gar nicht. Zum einen hatte er sich zum Historismus in der Theologie und zu ihrer Fixierung auf die griechische Philosophie sehr kritisch geäußert, zum anderen hatte er damals eine These vertreten, die heute die Spatzen von allen kirchlichen Dächern pfeifen: dass das kirchliche Amt von Gott der ganzen Gemeinde gegeben ist. Durch den Einsatz seines Doktorvaters Joachim Konrad und des Korreferenten Jürgen Moltmann konnte er dann doch im Januar 1967 zum Dr.theol. promoviert werden.
Von 1966 bis 1972 war Arnd Hollweg Gemeindepfarrer in Bad Honnef am Rhein. Viele Gemeindemitglieder waren damals in der Bundeshauptstadt Bonn tätig, was eine besondere Herausforderung zwischen Glaube und Politik bedeutete. In dieser Zeit wurden die drei Töchter Heike (1966), Uta (1968) und Karen (1971) geboren. Und noch ein anderes Ereignis fällt in diesen Lebensabschnitt: 1971 konnte als Ergebnis jahrelanger Studien und praktischer Erfahrungen sein Buch "Theologie und Empirie. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in den USA und Deutschland" veröffentlicht werden (1. Auflage 1971, 3. Auflage 1974).
Zum 1. Januar 1973 wechselte Arnd Hollweg in die Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKiD nach Stuttgart als Leiter der Abteilung "Die diakonische Dimension im Leben und Handeln der Kirche" und als Schriftleiter der Zeitschrift Innere Mission/Diakonie. Hauptmotiv für diesen Wechsel war die Hoffnung, dort seine theologischen und sozialen Intentionen zur Wirkung bringen und im institutionellen Bereich etwas verändern zu können. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Er kam sehr schnell in kritische Auseinandersetzungen mit den damaligen hierarchischen und autoritären Strukturen in der Diakonie, so dass er sich zum Juli 1976 eine neue Aufgabe suchen musste.
Die Entscheidung fiel wieder für die Gemeinde. Der Umgang mit Menschen aller Altersstufen, die Vielfalt der Herausforderungen und die zumindest damals noch mögliche Freiheit in der Gestaltung der Arbeit motivierten uns dazu. So kamen wir 1976 nach Berlin in die Ev.-reformierte Bethlehemsgemeinde, eine zur Landeskirche gehörende Personalgemeinde, in der Arnd Hollweg bis zu seiner Pensionierung im Juli 1990 und noch darüber hinaus tätig blieb. Die Gemeinde ermöglichte ihm, neben der Gemeindearbeit, die für ihn im Vordergrund stand, auch wissenschaftlich und literarisch weiter zu arbeiten. So hatte er über Jahre auch Lehraufträge an der Kirchlichen Hochschule und der Freien Universität Berlin, wo er zusammen mit Studierenden seine Erfahrungen aus der Praxis theologisch und sozialwissenschaftlich reflektieren konnte. Die Beziehung von Praxis und Theorie blieb ihm in allen seinen Tätigkeiten sehr wichtig.
Eine prägende neue Erfahrung in diesen Jahren war die Begegnung mit der böhmischen Tradition der Gemeinde - interessant u.a. deshalb, weil die "Böhmischen Brüder" Gegner jeder Form von "Konstantinismus" , der Verquickung von Kirche und Staat, waren. Noch wichtiger war die Begegnung mit der Partnergemeinde in Berlin-Köpenick und die Teilhabe an deren Auseinandersetzung mit dem "real existierenden Sozialismus". Natürlich war schon seit der Stuttgarter Zeit auch die Auseinandersetzung mit den sog. 68ern ein durchlaufendes Thema. Arnd Hollweg fühlte sich einerseits mit ihnen verbunden, vor allem durch den Protest gegen falsche Autoritäten und die Kritik an der mangelnden Aufarbeitung des Dritten Reiches seitens der "Vätergeneration". Andererseits hatte er den Eindruck, dass die Bewegung entgegen der eigentlichen Intention zum Teil in neue autoritäre Strukturen abzudriften drohte.
In seinem sog. Ruhestand ist Arnd Hollweg vielfältigen Herausforderungen nachgegangen; vor allem hat er sich als freier Schriftsteller betätigt. Er hat eine ganze Reihe von Aufsätzen zu aktuellen wissenschaftlichen, sozialen und politischen Themen veröffentlicht und über Jahre an einem größeren Werk gearbeitet, das er noch kurz vor seiner schweren Erkrankung im März 2015 vollenden konnte. Es wurde wenige Monate nach seinem Tod unter dem Titel "Lebensgrund in Gott. Erkennen im Glauben und Erkennen in den Wissenschaften in ihrem Verhältnis zueinander" vom Berliner Verlag Frank & Timme veröffentlicht.
Das Schreiben war seine Leidenschaft von Jugend auf. Er hat bis zuletzt nicht etwa auf dem Computer, sondern auf seiner alten klapprigen Schreibmaschine Marke "Gabriele" unermüdlich getippt, oft bis spät in die Nacht. Gelbe und zuletzt weiße Zettel hatte er immer in seiner Brieftasche, um Gedanken, die ihm kamen, jederzeit notieren zu können, auch unterwegs, auf Spaziergängen etc. Die Zettel waren gewissermaßen sein Markenzeichen.
Er hat aber nicht nur über Probleme nachgedacht und sie zu Papier gebracht. Er war sehr gern mit Menschen zusammen und hat mit allen das lebendige und kritische Gespräch gesucht, manchmal mit Passanten auf der Straße. Ihm war dabei immer wichtig, dass Menschen ihre eigenen Meinungen ausbilden und zu Gehör bringen und auf diese Weise mit sich selbst identisch bleiben können. Eine große Freude war für ihn, dass er noch im hohen Alter Großvater von vier Enkelinnen wurde. Ihnen und ihrer Generation seine Lebenserfahrungen und das Zeugnis seines Glaubens weiterzugeben, war eine ganz wichtige Motivation für seine schriftstellerische Tätigkeit, die er als Ruf Gottes empfunden hat.
Arnd Hollweg war Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie sowie Mitglied der Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen, der Gemeinschaft evangelischer Erzieher im Rheinland und der Bibliotheque World Wide Society mit Sitz in Kalifornien/USA.
Schwerpunkte seines Denkens und Arbeitens
In seiner wissenschaftlichen Arbeit war Arnd Hollweg besonders an interdisziplinären, erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragestellungen interessiert. Waren es zunächst die Sozialwissenschaften, die sein Interesse geweckt hatten, so waren es dann vor allem die Naturwissenschaften, die unser heutiges Weltbild prägen und durch die Technik unser soziales Leben weithin bestimmen. Er hat im Laufe der Zeit ein kritisches Verhältnis zu ihnen entwickelt, da er empfand, dass sie uns vom personalen menschlichen Ich in seiner Lebenswelt abspalten. Denselben Eindruck hatte er von der Theologie. Seine Fragestellung ging zunehmend dahin, wie Glauben und Leben aus dem Glauben in unserer heutigen Wissensgesellschaft möglich sind. Vordringlich war für ihn dabei die Frage nach der pneumatischen Präsenz Gottes in Jesus Christus in unserem Leben, zu dem auch das Denken gehört. Wie wir diese Präsenz heute selbst erfahren und im Dialog mit den Wissenschaften aussagen können, ist das Thema seines letzten Buches. Er hat ganz intensiv mit der Bibel gelebt, jeden Tag die Herrnhuter Losungen und die dazu gehörenden Zusammenhänge gelesen und meditiert. Auf diesem Hintergrund hat er mit ungeheurer Wachheit bis zuletzt die politischen und sozialen Vorgänge wahrgenommen, analysiert und kommentiert.
Bücher:
Gruppendynamik und Interpersonale Theologie. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Ev.-theol. Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, 1967;
Theologie und Empirie. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in den USA und Deutschland, 3.Aufl. Stuttgart 1974;
Gruppe, Gesellschaft, Diakonie. Praktische Erfahrung und theologisches Erkennen, Stuttgart 1976;
Barbara v. Bremen, Arnd Hollweg, Hartmut Renziehausen, Isbert Schultz-Heienbrock, Jürgen Trott, Claus Venz (Hrsg.): Obdachlosenhilfe, Berlin 1981;
und Astrid Hollweg: Biblischer Glaube und neuzeitliches Bewusstsein. Aufgezeigt und entfaltet am Leitfaden der Wochensprüche des Kirchenjahres, Frankfurt am Main, Berlin, Bern 1999;
in Zusammenarbeit mit Astrid Hollweg: Lebensgrund in Gott. Erkennen im Glauben und Erkennen in den Wissenschaften in ihrem Verhältnis zueinander, Berlin 2015
Aufsätze:
Katechesen in: Laß mich hören. Eine Hilfe für den Dienst an Kindern, Gladbeck 1960-1964;
The Dialogue between Group Dynamics and Interpersonal Theology, in: The Journal of Pastoral Care VIII 1964, 13-22;
Rezension zu H.C. v. Hase und A. Heuer (Hrsg.): Solidarität+Spiritualität=Diakonie, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 61/1972, 413-415;
Die psychologische und soziologische Deutung von Schuld im Licht der Theologie, in: Innere Mission 62/1972, 403-426;
Emanzipation - soziale Hilfe - Heil, in: H.C.v. Hase und P. Meinhold (Hrsg.): Reform von Kirche und Gesellschaft 1848-1973, Stuttgart 1973, 141-150;
Diakonie und Caritas, in: F. Klostermann und R. Zerfaß (Hrsg.): Praktische Theologie heute, München 1974, 500-511;
Die Beziehungen zwischen gruppendynamischem Laboratorium und Lebenswirklichkeit als Problem christlicher Verantwortung, in: K.-W. Dahm und H. Stenger (Hrsg.): Gruppendynamik in kirchlicher Praxis, München 1974, 235-248;
Theologische Aspekte in Theorie und Praxis der Gruppendynamik, in: Theologia Practica IX/1974, 292-302;
Umgang mit Lebensprozessen. Psychotherapie und soziale Strukturen, in: Ev. Kommentare 7/1974, 682-689;
Christus in der Gesellschaft, in: Innere Mission 64/1974, 569-578;
Politisierung der Erkenntnistheorie? In: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 63/1974, 493-509;
Der einzelne und die Gruppe. Eine Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Sozialwissenschaften, in: Der evangelische Erzieher 4/1975, 234-242;
Zur Zusammenarbeit von Spezialisten und freiwilligen Mitarbeitern. Thesen zur Diskussion, in: Diakonie 4/1975, 230-231;
Funktion der Theologie in der Ausbildung von Diakonen und Diakoninnen. Thesen zur Diskussion, in: Diakonie 5/1975, 313-316;
Emanzipation theologisch: Die Bitte um den Geist der Freiheit. Über den Zusammenhang von diakonischem Handeln und der Bestimmung des Menschen, in: Diakonie 6/1975, 346-354;
Editorials der Zeitschrift Diakonie 1973-1976;
Die Wirklichkeit akzeptieren. Gruppendynamik im wissenschaftlichen Dialog, in: Ev. Kommentare 1/1979, 151.152.157;
Diakonie jenseits der Gemeinde, in: Ev. Kommentare 6/1979, 356;
Gemeindeseelsorge und Beratung. Überlegungen zu einer Orts- und Zielbestimmung, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 7/1979, 230-244;
Empirische Theologie als Zugang zu diakonischem Denken und Tun in der Obdachlosenhilfe, in: B.v. Bremen, A. Hollweg u.a. (Hrsg.): Obdachlosenhilfe, Berlin 1981, 24-45;
Dialog im Streit. Rezension zu J. Scharfenberg (Hrsg.): Glaube und Gruppe. Probleme der Gruppendynamik in einem religiösen Kontext, Göttingen 1980, in: Ev. Kommentare 4/1981, 226-227;
Artikel Gruppendynamik, in: P.C.Bloth, K.-F. Daiber (Hrsg.): Handbuch der Praktischen Theologie Bd. 2, Gütersloh 1981, 325-343;
Anspruch und Wirklichkeit. Diakonische Arbeit in theologisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive, in: Diakonisches Werk Berlin (Hrsg.): Hilfe zum Helfen. Protokoll einer Tagung, Berlin 1982, 37-48;
Theologiestudenten in der Obdachlosenhilfe - oder: Wie die Perspektiven sich ändern können, in: Wege zum Menschen 35/1983, 56-64;
Unterwegs zu einem gemeindediakonischen Ansatz im Umgang mit Obdachlosigkeit. Zur konzeptionellen Diskussion in der Obdachlosenhilfe, in: Wege zum Menschen 35/1983, 64-76;
Trendwende in der Diakonie. Kritik und Neuorientierung, in: Pastoraltheologie 6/1984, 196-211:
Diakonie und die Paradigmenproblematik in der Theologie, in: Pastoraltheologie 1/1989, 19-33;
Rezension zu Klaus Köhn: Psychoanalyse und Verbrechen. Grundlagen einer psychoanalytischen Kriminologie, Wiesbaden 1992, in: Wege zum Menschen 45/1993, 46-49;
Aus der Kirchengeschichte lernen. Eine Erwiderung auf Wolfhart Pannenberg, in: Ev. Kommentare 8/1995, 481-484;
Die Frage nach sich selbst. Der Mensch im Lebenskontext seiner Welt, in: evangelische aspekte 3/2003, 4-9;
Zum Tage, evangelische aspekte Jg. 2003;
Bekennende Kirche und Deutsche Christen. Erinnerungen an den Kirchenkampf, in: evangelische aspekte 4/2004, 31-32;
Das Ohne-Ich-Denken. Zum Verschwinden des Ichs im Gehirn: eine bizarre Erkenntnistheorie, in: evangelische aspekte 3/2005, 33-34;
Gott im Abgrund. Zum Gedenken an den Widerstandskämpfer Kurt Gerstein, in: evangelische aspekte 4/2005, 25-27;
Die Sprache der Kultur. Zur interkulturellen Kommunikation im globalen Horizont, in: evangelische aspekte 1/2006, 15-17;
Die Suche nach der Gegenwart Gottes. Spiritualität und Mystik im Horizont christlichen Glaubens, in: evangelische aspekte 4/2006, 4-8;
Geistliche Passkontrolle. Josef Ratzinger und das Heimatrecht in der Kirche Jesu Christi, in: evangelische aspekte 3/2007, 17-21;
Suche nach dem globalen Horizont. Die anthropologisch-theologische Frage und die aktuelle Finanzkrise, in: evangelische aspekte 2/2009, 29-32;
Theorie versus Lebenspraxis. Arbeit und Wirtschaft im sozialen Leben heute, in: evangelische aspekte 2/2010, 18-22.
Die folgenden englischsprachigen Aufsätze sind veröffentlicht in: The Journal of Global Issues and Solutions, published by the Bibliotheque World Wide Society:
Ramifications of Globalization (2004);
Christian Faith, Philosophy and Science against the Background of the Present Ecumenical Discussion (2007);
From a Theologian's Perspective: Work and Economy in the Social Life Today (2010);
Contexts of the Global Financial and Economic Crisis in the Perspective of Empirical Theology (2012);
The World both as God's Creation and also as an Object of Science and Technology (2012/13);
Human Life - Nature - Technique in the Perspective of Agenda 21 (2013).
Kontakt:
Astrid Hollweg
Email: arndastrid.hollweg@t-online.de